Das Plaggeneschzentrum – ein Kooperationsprojekt zur Umweltbildung zwischen dem Windmühle Lechtingen e. V. und dem Natur- und UNESCO Geopark TERRA.vita (NW Deutschland)

Autoren: Tobias Fischer1, Sabine Böhme1, Ansgar Vennemann², Klaus Mueller³

 

1Natur- und Geopark TERRA.vita, Am Schölerberg 1, D-49082 Osnabrück

²Windmühle Lechtingen e. V., Mühlenstraße 45, D-49134 Wallenhorst

³Bergmannstraße 5, D-49134 Wallenhorst

Wie betreibe ich Landwirtschaft auf Böden, die trotz großer Anstrengungen nur sehr geringe Erträge erbringen? Mit dieser Frage sahen sich die Menschen des 12. Jahrhunderts konfrontiert, welche im Raum des heutigen Osnabrücker Landes (NW Deutschland) lebten. Das mittelalterliche Bevölkerungswachstum und der dadurch zunehmende Nahrungsmittelbedarf zwang sie zur ackerbaulichen Nutzung der sandigen, wenig fruchtbaren Böden der in Nordwestdeutschland weitverbreiteten Geestlandschaften. Abhilfe schuf eine heute historische Form der Landnutzung, welche einen tiefen landwirtschaftlichen Umbruch bedeutete und die Landschaft für Jahrhunderte prägen sollte – die Plaggenwirtschaft (Mueller et al. 2013).

Von Heideflächen, nassen Niederungen und Waldgebieten wurde die oberste Bodenlagen als Soden, den sogenannten Plaggen, entnommen. Die Plaggen wurden in Tierställe eingestreut, dort über Monate mit den Tierexkrementen vermischt und anschließend mit Hausabfällen und Ascheresten vermengt. In der Regel kompostiert, wurde das Material als organischer Dünger auf die sandreichen Ackerflächen, den Eschen, ausgebracht (Mueller 2020). Dadurch konnte Roggen über längere Ernteperioden angebaut werden, „Ewiger Roggenanbau“ genannt. So ermöglichte die Plaggenwirtschaft indirekt auch die Verbreitung zahlreicher Mühlen im Osnabrücker Land, welche das Korn verarbeiteten. Nahezu jede Ortschaft verfügte über eine Mühle, wie die Windmühle Lechtingen in der Gemarkung Wallenhorst nordwestlich von Osnabrück.

Durch den fortwährenden Auftrag der Mineralböden wurden die Esche erhöht – rückwirkend über die Jahrhunderte betrachtet um durchschnittlich ein Millimeter pro Jahr (Dahlhaus et al. 2018). Dadurch bildeten sich Geländekanten von bis zu 1,3 Metern, die auch heute noch das Landschaftsbild prägen. Ein gutes Beispiel für eine solche Eschkante ist der Lechtinger Esch benachbart zur Lechtinger Mühle (Mueller 2020).

An diesem Standort entstand im Jahr 2009 durch Initiative von Prof. Dr. Klaus Mueller, Hochschule Osnabrück, die Idee, durch ein Informations- und Erlebniszentrum auf die Plaggenwirtschaft aufmerksam zu machen. Ein erstes Konzept erstellte die damalige Studentin Sonja Ballmann (2010) im Rahmen einer Masterarbeit. Der Grund und die Notwendigkeit eines solchen Zentrums sahen sie in der Tatsache, dass mit der Einführung von Mineraldüngern zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Plaggenwirtschaft abrupt endete und das Wissen und die Bedeutung um die Landschaft prägenden Böden zunehmend in Vergessenheit geriet. Die Plaggenesche werden häufig eingeebnet und überbaut, sodass sie heute nur noch Relikte einer historischen Kulturlandschaft darstellen. Dabei erfüllen die Plaggenböden auch heute noch vielfältige und bedeutende Funktionen in der Region. Sie sind wichtiger Lebensraum für die Wurzeln von Pflanzen und Tiere, ermöglichen eine gute Wasser- und Nährstoffspeicherung, sind CO2-Senken, wenig anfällig für Bodenerosionsereignisse, puffern Schadstoffeinträge und archivieren archäologische Funde (Mueller 2013, 2020).

Aufgrund dieser hohen Bedeutung als Boden und als historische Kulturlandschaft griff der Natur- und Geopark TERRA.vita (Teutoburger Wald, Wiehengebirge, Osnabrücker Bergland, Ankumer Höhen) das Konzept eines Plaggeneschzentrums wieder auf. Als einzigartiger Standort für das Plaggeneschzentrum etablierte sich die Lechtinger Windmühle des Windmühle Lechtingen e. V., da nicht nur die Plaggenwirtschaft erläutert wird, sondern mit lokalen Akteuren die Kulturgeschichte der Region, die Bedeutung der Mühlenwirtschaft sowie die Produktion lokaler, nachhaltiger und ökologischer Produkte vermittelt werden kann (Abb. 1). Zudem ist die Lechtinger Plaggeneschlandschaft als historische Kulturlandschaft von landesweiter Bedeutung einzuordnen.

Abb. 1: Das Plaggeneschzentrum ist wahrscheinlich deutschlandweit einzigartig und eine Kooperation zwischen dem Windmühle Lechtingen e. V. und dem Natur- und Geopark TERRA.vita (Foto: Ansgar Vennemann).

In enger Zusammenarbeit und mit viel Eigenarbeit der Mitglieder des Windmühle Lechtingen
e. V. entstand in einem restaurierten Schweinestall und im Außenbereich die
wohl einzige Dauerausstellung zur Plaggenwirtschaft in Deutschland.

Leicht verständlich und insbesondere auch für Kinder und junge Erwachsene geplant, leistet das Projekt einen Beitrag zur Bildung für nachhaltige Entwicklung. Die digitale und analoge Konzeption soll das Bewusstsein für historische Bewirtschaftungsformen und die zunehmende Bedeutung von intakten, fruchtbaren Böden für eine nachhaltige Landwirtschaft schärfen. Zudem zeigt es die Folgen der Plaggenwirtschaft für die Landschaft und damalige Gesellschaft auf: Große Flächen, auf denen Plaggen entnommen wurden, verheideten oder devastierten, sodass durch Winderosionsereignisse Wanderdünen und Wehsandflächen entstanden (Mueller 2020). Oftmals benötigte der Boden 10 Jahre, bis sich eine neue abplaggbare Vegetationsdecke bildete (Dahlhaus et al. 2018). Plaggen waren sehr gefragt. Infolgedessen blieben Zank, Streitereien und auch Plaggendiebstahl nicht aus. 

Das Maskottchen „Paul Plagge“ sowie Hands-on-Objekte und interaktive Elemente wie Bodendrehrollen oder eine Drehscheibe, die in fünf Phasen die Plaggenwirtschaft erläutert, begrüßen Besuchergruppen im Außenbereich des Plaggeneschzentrums (Abb. 2, 3). Eine Zeittafel informiert über die Formen der Ackerdüngung seit der Jungsteinzeit und eine Tafel mit Orts- und Straßennamen wie „Plaggenschale“ und „Eschweg“ oder der Verweis auf Familiennamen wie „Esch“ und „Escher“ sowie Begriffe wie die heute noch geläufige „Plackerei“ stellen einen Bezug von der Plaggenwirtschaft zum heutigen Alltag her (Abb. 4). Im Innenbereich wird in Form eines Films sowie in Dioramen und Objekten die Phasen der Plaggenwirtschaft sowie ihrer Folgen dargestellt.

Abb. 2: Begrüßungstafel zum Plaggeneschzentrum mit dem Maskottchen „Paul Plagge“ (Foto: Ansgar Vennemann).
Abb. 3: Aufbau eines interaktiven Elements im Außenbereich des Plaggeneschzentrums (Foto: Ansgar Vennemann).
Abb. 4: Zeittafel zu den Formen der Ackerdüngung in Nordwestdeutschland seit der Jungsteinzeit (Foto: Ansgar Vennemann).

Als UNESCO Global Geopark sind für TERRA.vita die Plaggenböden schutzwürdig, da sie ein einzigartiges geologisches Erbe von internationaler Bedeutung darstellen (Fischer 2020). Die Plaggenwirtschaft ist weltweit vor allem in der nordwestdeutschen Tiefebene und in angrenzenden Gebieten der Niederlande, Belgiens und Dänemarks verbreitet (Mueller 2020). Singuläre Vorkommen sind aus Schottland, Irland, Wales, Norwegen und Russland bekannt (Mueller et al. 2013). Dabei weist der Raum um Cloppenburg und Osnabrück die höchste Dichte an Plaggenböden auf. Aufgetragen auf den eiszeitlich entstandenen sandigen Böden, tragen sie zur Geodiversität in der Region bei und archivieren, abgesehen von ihrer eigenen Kulturgeschichte, archäologische Kulturgüter. Das bekannteste Beispiel sind die Relikte der Kriegshandlungen der Varusschlacht, welche im Oberesch bei Kalkriese gefunden wurden (Derks 2015). Dabei bilden die Plaggenböden in der 300 Millionen Jahre langen Erdgeschichte des UNESCO-Geoparks das jüngste Kapitel (Fischer 2020).

Aufgrund der Einzigartigkeit als Landnutzungsform und der einzigartigen Zusammenarbeit zwischen dem Windmühle Lechtingen e. V. und dem Natur- und Geopark TERRA.vita wurde das Plaggeneschzentrum und die Mühle im Rahmen einer Exkursion Teilnehmenden des „EGN springmeetings 2022“ vorgestellt (Abb. 5, 6). An dieser Tagung des Europäischen Geoparknetzwerks (EGN), die vom 26. April bis 30. April 2022 in Zweegse in den Niederlanden tagte, nahmen ca. 160 Teilnehmende aus mehr als 20 europäischen Ländern teil. Ziel der Tagung ist neben dem fachlichen Austausch die strategische Ausrichtung der Europäischen Geoparks zu verfeinern und im Rahmen von Exkursionen Vorzeigebeispiele aus Geoparks u. a. aus den Bereichen nachhaltige Regionalentwicklung, Umweltbildung, Bildung für nachhaltige Entwicklung und Schutz geologischen Erbes vorzustellen.

Abb. 5: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Exkursion in den UNESCO Global Geopark TERRA.vita im Rahmen des EGN springmeetings 2022 vor der Windmühle Lechtingen (Foto: Ansgar Vennemann).
Abb. 6: Führung im Plaggeneschzentrum für die Exkursionsgruppe (Foto: Natur- und Geopark TERRA.vita).

Literatur:

Ballmann, S. (2010): Konzept für ein „Informations- und Erlebniszentrum Plaggenwirtschaft“ an der Windmühle Lechtingen. Masterarbeit, Hochschule Osnabrück, 93 S.

Dahlhaus, C.; Kniese, Y.; Mueller, K. (2018): Atlas der Böden im Natur- und Geopark TERRA.vita. Natur- und Geopark TERRA.vita Nördlicher Teutoburger Wald, Wiehengebirge, Osnabrücker Land e. V. (Hrsg.), Osnabrück, 110 S. [ISBN 978-3-88926-152-6]

Derks, H. (2015): Kalkriese und die Varusschlacht. Geschichte – Forschung – Funde. Varusschlacht im Osnabrücker Land – Museum und Park Kalkriese (Hrsg.), Bramsche-Kalkriese, 143 S. [ISBN 978-3-00-048821-4]

Fischer, T. (2020): Wertgebende Landschaften und Landschaftselemente im Natur- und UNESCO Geopark TERRA.vita. Natur- und Geopark TERRA.vita Nördlicher Teutoburger Wald, Wiehengebirge, Osnabrücker Land e. V. (Hrsg.), Osnabrück, 195 S. [ISBN 978-3-945096-09-3]

Mueller, K. (2020): Die Plaggenwirtschaft. Eine einzigartige Form der Landnutzung in der nordwestdeutschen Tiefebene. Der Mühlstein, 68, 15-22.

Mueller, K.; Giani, L.; Makowsky, L. (2013): Plaggenesch, Boden des Jahres 2013: Regionale Beispiele aus dem Oldenburger und Osnabrücker Land. Drosera, 2011, 1-10.

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